Samstag, 11. Juni 2016

Kulturschock

Ich stelle immer wieder fest, wie mich bei Reisen durch mehrere Länder kurz vor Einreise in ein neues Land die Neugierde packt und ich es kaum erwarten kann, endlich über die Grenze fahren zu können. Im Falle unseres Grenzübertritts von Iran nach Turkmenistan standen vor diesem freudigen Ereignis allerdings noch die Grenzformalitäten. Wir stellten uns auf eine längere Wartezeit ein, da die Abfertigung bei der Einreise schon fünf Stunden gedauert hatte. Dieser Wert wurde dieses Mal allerdings nochmal übertroffen, da durch einen Computerausfall bei der iranischen Passkontrolle stundenlang gar nichts passierte. Die Wartezeit ging aber einigermaßen schnell vorüber, da wir an der Grenze drei andere Motorradfahrer trafen, von denen wir zweien schon bei einer Reifenpanne in der Wüste geholfen hatten und wir uns so mit dem Erzählen von Reiseanekdoten die Zeit vertreiben konnten. Michael aus Tübingen, der allein auf seiner BMW unterwegs war, schloss sich uns spontan an.

Nach sechs Stunden Warten war es dann endlich soweit und wir durften bei sengender Mittagshitze auf die turkmenische Seite rollen. Im Internet hatte wir ja schon einiges an Kuriositäten über dieses Land gelesen, aber was uns dort als Grenzabfertigungsschauspiel dargeboten wurde, übertraf unsere Erwartungen noch. Bevor wir überhaupt das Abfertigungsgebäude betreten durften, wurden unsere Pässe bereits dreimal penibel durchgeblättert, und jede Seite wurde angestrengt studiert. Endlich im Gebäude angelangt, begann ein bürokratischer Spießrutenlauf, der eindrucksvoll veranschaulicht hat, wie das Gegenteil von Effizienz aussehen kann. Nach einer kurzen medizinischen Untersuchung wurden unsere Passdaten insgesamt viermal in irgendwelche Listen eingetragen, für die jeweils ein eigener Grenzbeamter zuständig war. Dann wurden uns diverse Zettel ausgehändigt, mit denen man jeweils ein Zimmer weitergehen musste. Dort angekommen, fanden wir zwei Schreibtische vor, die gerade so in das Zimmer hineinpassten. An jedem saß ein weiterer Beamter, der lediglich für ein bestimmtes Stempelfeld auf den Zetteln zuständig war. Mittlerweile etwas verwirrt wurden wir zu weiteren Stationen geschickt, wo wir unter anderem 75 US$ Benzinsteuer und Gebühren für unsere geplante Route durch Turkmenistan bezahlen mussten, die dann auf einem Dokument eingetragen wurde und für etwaige Polizeikontrollen bereitgehalten werden musste. Stempel gab's auch überall und zwar reichlich! Nach ca. zwei Stunden durften wir dann endlich mit den Motorrädern bei der Zollkontrolle vorfahren und wurden sofort von 15 bis 20 Grenzbeamten umringt, die sich sehr für unsere technische Ausstattung interessierten und sich deswegen der Kontrolle aller unserer Taschen und Ausrüstungsgegenstände mit großer Hingabe widmeten. Wir versuchten uns trotzdem eine gewisse Restfreundlichkeit zu bewahren, was in Anbetracht der Außentemperatur gar nicht so leicht fiel. Es lagen nämlich mittlerweile 47 Grad an, im Schatten wohlgemerkt. Nachdem wir unser Gepäck wieder eingeräumt hatten und unsere Pässe und Visa noch zwei weitere Male kontrolliert worden waren, wurden wir endlich ins Land entlassen.

Es war ein bisschen so, wie ich mir die Ankunft in der Hölle vorstelle. Die Luft war so heiß, dass man nicht ohne Handschuhe oder offenem Visier fahren konnte, weil das auf der Haut wehtat. Die Landschaft war komplette Ödnis und bestand aus knöchelhohem Gestrüpp auf sandigem Boden. Noch in Sichtweite vom Grenzübergang kam dann bereits die erste Polizeikontrolle, wo, was auch sonst, wieder mal unsere Pässe und Visa kontrolliert wurden und auch der Zettel mit der Route, um zu sehen, ob wir auf den 800 Metern vielleicht schon davon abgewichen waren. Mittlerweile völlig weichgekocht, versuchten wir schnellstmöglich die 200 Kilometer zu unserem Tagesziel Mary hinter uns zu bringen. Die Straßen waren in einem bemitleidenswerten Zustand und hielten regelmäßig Überraschungen in Form von badewannengroßen Schlaglöchern bereit. Eine Stunde vor Ankunft kam dann noch ein fieser Seitenwind dazu, der sich noch bis zu einem ausgwachsenen Sandsturm steigerte, so dass die Sichtweite gegen null ging. Obwohl auch die Sonne nicht mehr zu sehen war, schien die Hitze mitunter sogar noch zuzunehmen! Unter diesen apokalyptischen Bedingungen rollten wir in Mary ein. Ich war vorher noch nie so froh, dass ein Fahrtag endlich zu Ende war. In unserem Hotel gab es dann zwar kein Wifi, dafür aber einen Pool! Begeistert stürzten wir uns hinein und waren sogleich besserer Dinge. Die Stimmung hellte sich dann nochmals deutlich auf, als wir in einem Restaurant Platz genommen und nach der langen Zeit des Darbens im Iran eine Bestellung in Form von Schaschlik vom Schwein (nicht halal) und echtem Bier (überhaupt nicht halal) aufgegeben hatten. Die blonde Kellnerin war in einer Art und Weise gekleidet, die nach fast drei Wochen islamischer Kleiderordnung unsere volle Aufmerksamkeit erregte. Dass sie uns die Essutensilien mit sowjetischer Strenge hinknallte, vermochte der guten Stimmung auch keinen Abbruch zu tun. Von zwei Bieren beschwingt fielen wir alle in die Betten und schliefen wie die Steine.

In aller Herrgottsfrühe brachen wir am nächsten Morgen auf, um wenigstens einige Zeit bei erträglichen Temperaturen unterwegs sein zu können. In Anbetracht der frühen Stunde war meine volle Aufmerksamkeit aber leider noch nicht verfügbar, Ergebnis: es tat einen fürchterlichen Schlag - ich war durch ein großes und tiefes Schlagloch gefahren. Michael hinter mir war plötzlich verschwunden. Nachdem ich umgedreht und zu ihm zurückgefahren war, sah ich den Schlamassel. Er hatte das Schlagloch auch erwischt und durch die enorme Wucht ist ihm dabei der komplette rechte Koffer abgerissen und bot einen elendigen Anblick. Ziemlich deformiert sah es zuerst gar nicht so aus, als ob man ihn wieder am Motorrad anbringen könnte. Nach einigem Biegen und unter Einsatz von Spanngurten und Kabelbindern gelang es uns aber schließlich, ihn wieder am Motorrad zu befestigen. Der Rest der Fahrt zur Grenze verlief dann zum Glück störungsfrei. Nur kurz vor der Grenze wurden wir nochmals an einem Straßenposten angehalten und uns wurde gegen Zahlung von 10$ ein Zettel ausgehändigt, der dann 100 Meter weiter an einem anderen Posten wieder abgegeben werden musste. Der Sinn und Zweck dieser Unternehmung blieb uns dabei vollständig verborgen. An der turkmenisch-usbekischen Grenze angelangt, mussten wir uns vorübergehend von Michael trennen, da sein usbekisches Visum erst einen Tag später gültig war als unseres. Die turkmenische Grenzabfertigungsprozedur ließen wir dann schon völlig routiniert über uns ergehen und auf usbekischer Seite ging das ganze dann erfreulicherweise gleich nochmal viel freundlicher und zügiger vonstatten. Nach sportlichen vier Stunden konnten wir dann endlich in unser vorletztes Land in diesem Jahr einreisen.

Usbekistan!

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